Montag, 03. Mai 2021

Zwischen Social Impact und Rentabilität: Das Augsburger Startup „mivao“ setzt auf sozial-gesellschaftlichen Mehrwert

Mit der App „mivao“ wollen die Gründer:innen Autist:innen, Menschen mit AD(H)S, Intelligenzminderung und alle, die eine Starke Struktur zur Bewältigung ihres Alltags benötigen, unterstützen.

Bildrechte: Matthias Leo, Hochschule Augsburg, v.l.n.r. Gründer:innen von mivao Margarita Fürmann, Michael Fürmann und Lisa Abeltshauser

Bildrechte: Matthias Leo, Hochschule Augsburg, v.l.n.r. Gründer:innen von mivao Margarita Fürmann, Michael Fürmann und Lisa Abeltshauser

Das Social Startup rund um Margarita Fürmann, Michael Fürmann und Lisa Abeltshauser entstand aus einer Forschungsgruppe an der Hochschule Augsburg, wird vom Digitalen Zentrum Schwaben (DZ.S) gecoached und durch das EXIST-Gründerstipendium des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Doch wie sieht der Alltag eines Social Startups aus und welche Herausforderungen ergeben sich, wenn statt Gewinnorientierung soziale und gesellschaftliche Aspekte an oberster Stelle stehen?

Get to know: mivao!

Ihr habt euch mit mivao zum Ziel gesetzt mit einer WebApp und einer Smartphone App den Alltag von bspw. Autist:innen zu erleichtern. Könnt ihr das genauer erklären?
Nicht nur viele Autist:innen, sondern oft auch Menschen mit AD(H)S, Intelligenzminderung und viele mehr benötigen eine starke Struktur, um in ihrem Alltag zurechtzukommen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Visualisierung von Tagesabläufen und von Aufgaben mit mehreren Arbeitsschritten (z.B. Zähne putzen).
Im Alltag werden dazu häufig analoge Hilfsmittel genutzt. Beispiele hierfür sind Papierpläne oder Whiteboards mit selbst gebastelten Kärtchen für alle Aktivitäten des Tages und Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Aufgaben. Diese meist sehr individuellen Hilfsmittel sind nicht nur sehr aufwendig zu erstellen, sondern meist auch unpraktisch und unhandlich. Viele Pläne (z.B. auf Whiteboards) sind außerdem nicht mobil und so außer Haus keine große Hilfe.

Darum entwickeln wir mit mivao eine digitale Lösung zur Alltagsunterstützung von Menschen mit einem hohen Bedarf an Strukturierung. In der mivao Web-Applikation können individuelle Tagesabläufe und Anleitungen für Aufgaben einfach und zeiteffizient digital erstellt und verwaltet werden. Durch die mivao App auf dem Smartphone haben unsere Nutzer:innen dann alle wichtigen Pläne und Anleitungen immer dabei und werden an anstehende Aufgaben erinnert. mivao ermöglicht so Menschen mit einem hohen Bedarf an Alltagsstrukturierung mehr Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit im Alltag und unterstützt sie bei der persönlichen Entfaltung und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Könnt ihr kurz erklären, warum man euch auch als Social Startup bezeichnet? War die Gründung eines Social Startups schon immer euer Plan und unterscheidet sich der Gründungsprozess in einem Social Startup im Vergleich zu einem „normalen“ Startup?
Wir widmen uns mit mivao einer sozial-gesellschaftlichen Herausforderung. Im Gegensatz zu vielen anderen Startups bei denen die Gewinnmaximierung und eine hohe Rendite beim Exit im Vordergrund steht, liegt bei mivao ein großer Fokus auf dem sozialen Mehrwert unseres Produkts.

Genau hier liegt auch eine Herausforderung bei der Erarbeitung des Businessplans, um ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das einerseits wirtschaftlich tragfähig ist, andererseits aber auch eine hohe sozial-gesellschaftliche Wirkung entfalten kann.

Für die Gründung selbst haben wir auch eine größere Auswahl an Rechtsformen, die wir abwägen müssen. Neben den Klassikern gibt es die gemeinnützige gGmbH/gUG, Stiftung oder Genossenschaft mit vielen Vorteilen aber teils auch wirklich hohen Auflagen. Interessant wäre auch eine Gesellschaft Verantwortungseigentum (VE-GmbH), wie sie in Norwegen bereits möglich ist.

Bildrechte: KJF Augsburg/Kathrin Ruf


Ihr seid nicht nur ein gemischtes Team mit zwei Frauen und einem Mann an Bord, sondern bringt auch verschiedenste Kompetenzen ein. Welche Vorteile ergeben sich eurer Meinung daraus?
Neben der Tatsache, dass wir ein gemischtgeschlechtliches Team sind, haben wir auch sehr unterschiedliche Hintergründe, fachliche Kompetenzen und Bildungswege. Durch diese Mischung haben wir auf jeden Fall mehr unterschiedliche Blickwinkel, die bei der Entwicklung unseres Produktes, aber auch für Entscheidungen im Gründungsprozess und der Unternehmensführung sehr hilfreich sind. Nach unserem subjektiven Empfinden ist das Auftreten eines Gendergemixten Startups allerdings nach Außen anders, als z.B. bei rein männlichen oder rein weiblichen Teams.


Ihr habt schon einiges erreicht: Vom Gewinn des Hochsprung Awards, über den Gewinn des Idea Slams 2020 bei „Augsburg gründet!“ bis hin zur erfolgreichen Bewerbung für ein EXIST- Gründerstipendium. Was sind eure nächsten Milestones?
Im Moment arbeiten wir stark daran, weitere fachliche Partner für die Weiterentwicklung unseres Produktes sowie zukünftige Pilotkunden zu gewinnen. Wir arbeiten auch mit Hochdruck an der ersten Vorabversion von mivao, die wir dann mit unserem Partnernetzwerk evaluieren, bevor wir mit unserer ersten Hauptversion offiziell in den Markt eintreten.


Von welchen Startup Herausforderungen träumt ihr nachts?
Als Social Startup sehen wir eine große Herausforderung darin, ein tragfähiges Geschäftsmodell aufzustellen. Es gibt immer einen Zwiespalt, da man auf der einen Seite etwas Gutes für seine Zielgruppe erreichen will, auf der anderen Seite als Unternehmer:in aber auch das Unternehmen und sein eigenes Leben irgendwie finanzieren muss. Eine große Herausforderung ist vor allem auch das Thema Anschlussfinanzierung nach dem EXIST Gründerstipendium. Ein Social Startup ist weit weg von einem Investor-Case mit „10X Exit“ wodurch es schwieriger ist, eine passende Finanzierung zu finden.

Zu guter Letzt: Wen (Vorbild, Gründer, Unternehmer, Visionär…) würdet ihr gerne einmal auf einen Kaffee in euer Büro einladen?
Lisa: Eine sehr schwierige Entscheidung – ich würde wahrscheinlich Rutger Bregman einladen. Er hat in seinen Büchern viele interessante sozial-gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen behandelt und appelliert, an das Gute im Menschen zu glauben. Ich denke, ein Austausch mit ihm wäre sehr inspirierend.

Michael: Für mich ist es Florian Henle, einer der drei Gründer von Polarstern. Ich finde es absolut beeindruckend, was Polarstern auf die Beine gestellt hat. Sie wollen als Energieversorger die Energiewende voranbringen, dabei soziale Ungleichheiten bekämpfen und verschreiben sich mit ihrem Unternehmen gleichzeitig dem Gemeinwohl. Über die Erfahrungen und Entscheidungen auf diesem Weg würde ich sehr gerne mehr erfahren.

Margarita: Es gibt viele spannende Gründer:innen und Unternehmer:innen im sozialen und nachhaltigen Bereich, mit denen ich mich gerne bei einem Kaffee austauschen würde. Eine davon ist Madeleine Alizadeh, die mit dariadéh ihr eigenes Fair-Fashion-Label aufgebaut hat und sich für viele Themen einsetzt, die mir auch wichtig sind u.a. Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung und Umweltschutz.

Bildrechte: Digitales Zentrum Schwaben (DZ.S), Idea Slam bei "Augsburg gründet! 2020

Das Interview führte Tobias Seemiller, Gründercoach und Accelerator Manager beim DZ.S, mit den Gründer:innen von mivao 
Margarita Fürmann, Michael Fürmann und Lisa Abeltshauser.