Paradoxe Wohnraumsituation in Deutschland: Das Augsburger Start-up "popup living" revolutioniert den Immobilienmarkt
In fast allen Städten in Deutschland gibt es das gleiche Problem: Es herrscht ein großer Mangel an Wohnraum. Auf der anderen Seite existieren massenweise leerstehende Gewerbeimmobilien, die seit Jahren keine Verwendung mehr finden. Aus dieser widersprüchlichen Situation heraus treffen Stefan Kapfer und Philipp Linsmeier, Gründer von popup living, mit ihrer Geschäftsidee einen Nerv in der Immowelt: Sie schaffen „Popup-Wohnraum“ dort, wo er benötigt wird.
Get to know popup living!
Wie seid ihr vom Bankkaufmann beim Thema „Umnutzung von Immobilien“ gelandet?
Philipp: Nach der Ausbildung zum Bankkaufmann war für uns beide klar, dass wir „akademisch“ noch etwas weiterkommen wollen. Zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns aber noch gar nicht. Über Bekannte sind wir dann zum Studiengang "Energieeffizientes Planen und Bauen" an der Hochschule Augsburg gekommen.
Als wir im Juni 2019 nachmittags durch die Augsburger Fußgängerzone liefen, fiel uns die enorme Zahl an Leerständen und demnach ungenutzten Gebäuden auf, obwohl Wohnraum dringend benötigt wird. Unsere bisherigen Erfahrungen im Bereich des kompakten Wohnens brachten uns auf die Idee, diese Leerstände mit Leben zu füllen.
Unser Masterstudiengang „Energie Effizienz Design“ ermöglichte es uns, die Idee im Rahmen einer Masterarbeit detailliert auszuarbeiten. Über das Coaching der Gründungsinitative „HSA_digit“ und der umfangreichen Unterstützung des Digitalen Zentrum Schwabens (DZ.S) konnten wir uns immer weiterentwickeln, einen erfolgreichen Antrag für das EXIST-Gründerstipendium stellen und einen Platz im DZ.S ergattern.
Welches Problem löst ihr? Und wen habt ihr schon von eurer Idee überzeugen können?
Stefan: Die Situation in Deutschland ist paradox: Einerseits wird die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum für 1-Personenhaushalte immer größer, andererseits steigt der Leerstand an Gewerbeimmobilien. Popup living löst dieses Problem und schafft Wohnraum dort, wo er benötigt wird. Wir mieten dafür leerstehende Gewerbeimmobilien an, nutzen diese um, kümmern uns um die Ausstattung und vermieten den so entstandenen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen weiter.
Für die Ausstattung setzen wir auf das von uns entwickelte popup living Co-Living Konzept und eine standardisierte Ausführung. In Kombination mit unserer parametrischen Planung ermöglicht dies uns, nicht wie in der Architektur üblich eine Einzellösung zu liefern, sondern eine systematische Lösung für die Umnutzung und den Betrieb von Leerständen.
Unser Konzept hat bereits einige Erfolge erzielt, so konnten wir in einem Gründungswettbewerb den 2. Platz erreichen, bei dem Idea- und Start-up Slam bei „Augsburg gründet!“ pitchen und sind vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit dem EXIST-Gründerstipendium gefördert.
Bildrechte: popup living, Beispielobjekt klein
Was war eure wichtigste Erkenntnis im jetzigen Gründungsprozess und wie seid ihr auf diese gekommen?
Philipp: Unsere wichtigste Erkenntnis war, sich aus der Komfortzone zu pushen und das Produkt nahe am Markt zu entwickeln. Hierfür holen wir viel Feedback aus Gesprächen mit Experten aus der Immobilienwirtschaft ein. Dieses Feedback ermöglicht es uns, stetig besser zu werden und perfekt auf den Markt reagieren zu können. Viele Start-ups haben zu Beginn Angst, dass ihre Ideen kopiert werden.
Wir konnten diese Angst recht früh ablegen da wir festgestellt haben, wie wertvoll Feedback ist. Oft lösen sich so Probleme für die man selbst deutlich länger gearbeitet hätte oder es zeigen sich Felder auf, die wichtig für die Umsetzung sind. Auch die Kontakte und das Netzwerk, dass durch die Feedbacks entsteht sind sehr wertvoll.
Ihr werdet durch ein EXIST-Gründerstipendium gefördert. Was ermöglicht euch diese Förderung?
Stefan: Die Förderung über das EXIST-Stipendium nimmt uns etwas Druck. Dadurch haben wir die notwendige Zeit, um den Gründungsprozess strukturiert voranzutreiben. Zurzeit arbeiten wir intensiv an unserem Geschäftsmodell und versuchen sobald wie möglich mit einem Proof-of-Concept in den Markt einzutreten.
Von welchen Start-up Herausforderungen träumt ihr nachts?
Philipp: Start-up bedeutet für uns vor allem lernen. Wir lernen so viel wie noch nie, beginnend bei „Wie gehe ich gezielt auf Kunden zu?“ bis zu „Wie funktioniert die Immobilienwirtschaft?“. Unsere Grundlagen, die in der kaufmännischen Vorbildung und dem anschließenden Studium im Bereich Technik und Gestaltung liegen, helfen uns dabei sehr.
Bildrechte: popup living, Modell
Zu guter Letzt: Wen (Vorbild, Gründer, Unternehmer, Visionär…) würdet ihr gerne einmal auf einen Kaffee in euer Büro einladen?
Philipp: Für mich wäre das Walter Gropius (deutscher Architekt, Gründer der Kunstschule „Bauhaus“), weniger wegen dem Bauhaus-Stil, sondern wegen der Sicht- und Herangehensweise an die Architektur, Kunst und Industrie. Der Grundsatz, dass die Funktion und der Mensch im Mittelpunkt stehen überzeugt mich. :)
Stefan: Peter Zumthor (international tätiger schweizer Architekt), vielleicht würde ich ihn derzeit noch nicht in unser Büro einladen, da er dafür bekannt ist, ein Perfektionist mit den höchsten Ansprüchen ins Detail zu sein. Aber genau diese Konsequenz fasziniert mich an ihm. P.S.: Das Büro ist demnächst fertig, dann kannst du gern vorbeikommen Peter. ;)
Mehr über popup living findet ihr auf www.popupliving.de!
Das Interview führte Tobias Seemiller, Gründercoach beim DZ.S, mit den beiden popup living Gründern Philipp Linsmeier und Stefan Kapfer.